Sonntag, 24. Juni 2018

„Ohrfeige mit Ansage“


Zu viel Nitrat im Boden: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat vergangene Woche entschieden, dass Deutschland über Jahre hinweg zu wenig gegen eine Überdüngung der Landwirtschaft mit Gülle und die daraus folgende Verunreinigung des Grundwassers mit Nitrat unternommen hat [1]. Besonders in Niedersachsen gerät die Politik dadurch unter Druck. Strafzahlungen drohen.

„Die Verurteilung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof ist eine Ohrfeige mit Ansage für die deutsche Landwirtschaftspolitik“, sagt Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer Wasser/Abwasser des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft [2]. „Das Urteil bestätigt die bisherigen Einschätzungen der Wasserwirtschaft. Im Unterschied zu anderen EU-Mitgliedstaaten ist die EU-Nitratrichtlinie in Deutschland auch 25 Jahre nach Inkrafttreten nicht umgesetzt worden. Auf den permanenten Bruch europäischen Rechts kann in Deutschland niemand stolz sein“.

Nitrat in Gewässern (und im Grundwasser) stammt zumeist aus Gülle in der Landwirtschaft. Der Stoff ist wichtig für das Pflanzenwachstum. Aber wenn zu viel gedüngt wird, sammeln sich Rückstände an. So entsteht giftiges Nitrit. Besonders in Regionen mit Massentierhaltung fällt mehr Gülle an, als die Pflanzen auf den Feldern aufnehmen können. In Niedersachsen bekommt vor allem die Region Weser-Ems die Belastung des Grundwassers nicht in den Griff [3]. Gerade einmal zwei Prozent (!) der Oberflächengewässer in Niedersachsen erreichen nach Angaben des jüngsten Nährstoffberichts des Landes die EU-Vorgaben [4]. Das ist haarsträubend.

Und wie reagieren die Verantwortlichen? Sie tun – nichts.

Denn das Urteil des EuGH bezieht sich – wie praktisch –  auf Versäumnisse vor 2014. Darauf reden sich jetzt der Bauernverband, Landvolk, Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), ihre niedersächsische Amtskollegin Otte-Kienast (CDU) und andere heraus. Sie verweisen darauf, dass ja seit vergangenem Jahr hierzulande ein neues Düngerecht gilt, das alles besser mache. Man solle doch jetzt erst mal abwarten, dass das neue Recht Wirkung zeige, heißt es.

Umweltschützern stinkt's: Überdüngung mit Gülle (Fotoquelle SPIEGEL.DE)


Experten sind da allerdings gänzlich anderer Meinung. Der Kieler Agrarwissenschaftler Friedhelm Taube sagte dem SPIEGEL [5]: „In der Summe bringt das aber keine Veränderungen. Es gibt dort fast überall weiche Formulierungen, die Auflagen werden nie konkret; selbst eine dreifache Überschreitung der Grenzwerte lässt sich mit etwas Geschick schönrechnen.“ Die schlimmste Sanktion, so Taube, sei, dass der Landwirt sich beraten lassen müsste. Und dann habe er wieder seine Ruhe. „Ein stumpfes Schwert“, so sein Fazit zur neuen Düngeverordnung.

Man beachte: Das neue Düngerecht schreibt unter anderem größere Behälter vor, damit die Bauern „die Gülle nicht nur aus Platzmangel“ [6] auf die Felder bringen. Agrarexperte Tauber: „So haben viele Landwirte während der aktuell herrschenden Trockenheit munter weitergedüngt, als könnten sie in diesem Jahr Höchsterträge erwarten. Damit werden die Nitratüberschüsse im Grundwasser noch mehr steigen.“

So ist es nur eine Frage der Zeit, bis es die nächste Klage der EU-Kommission gibt. Und das nächste EuGH-Urteil.

Bis dahin sickert das Nitrat weiter in den Boden und bedroht das Trinkwasser. Fließt weiter in die Meere und führt dort zu Algenpest. Oder gelangt als Ammoniak oder Lachgas in die Atmosphäre. „Lachgas ist ein extremes Klimagas“, sagt Agrarwissenschaftler Taube, „300-fach wirksamer als Kohlendioxid.“ Allein in Deutschland entstünden durch diese Überdüngung pro Jahr Schäden in Höhe von fünf Milliarden Euro.

Nein. Wir können nicht mehr länger abwarten.


[1] https://www.tagesschau.de/inland/nitrat-eugh-103.html
[2] https://www.bdew.de/presse/presseinformationen/deutschland-drohen-milliarden-strafzahlungen/
[3] http://agrarwende.de/massentierhaltung.html
[4] https://www.ml.niedersachsen.de/themen/landwirtschaft/ue_pflanzen_und_duengemanagement/naehrstoffbericht/naehrstoffbericht-132269.html
[5] SPIEGEL, # 26/2018, S. 99
[6] Hannoversche Allgemeine Zeitung, 22.6.18, S. 1


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