Zu viel Nitrat im Boden: Der
Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat vergangene Woche entschieden,
dass Deutschland über Jahre hinweg zu wenig gegen eine Überdüngung der
Landwirtschaft mit Gülle und die daraus folgende Verunreinigung des Grundwassers
mit Nitrat unternommen hat [1]. Besonders in Niedersachsen gerät die Politik
dadurch unter Druck. Strafzahlungen drohen.
„Die Verurteilung Deutschlands
durch den Europäischen Gerichtshof ist eine Ohrfeige mit Ansage für die
deutsche Landwirtschaftspolitik“, sagt Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer
Wasser/Abwasser des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft [2]. „Das
Urteil bestätigt die bisherigen Einschätzungen der Wasserwirtschaft. Im
Unterschied zu anderen EU-Mitgliedstaaten ist die EU-Nitratrichtlinie in
Deutschland auch 25 Jahre nach Inkrafttreten nicht umgesetzt worden. Auf den
permanenten Bruch europäischen Rechts kann in Deutschland niemand stolz sein“.
Nitrat in Gewässern (und im
Grundwasser) stammt zumeist aus Gülle in der Landwirtschaft. Der Stoff ist
wichtig für das Pflanzenwachstum. Aber wenn zu viel gedüngt wird, sammeln sich
Rückstände an. So entsteht giftiges Nitrit. Besonders in Regionen mit
Massentierhaltung fällt mehr Gülle an, als die Pflanzen auf den Feldern
aufnehmen können. In Niedersachsen bekommt vor allem die Region Weser-Ems die
Belastung des Grundwassers nicht in den Griff [3]. Gerade einmal zwei Prozent
(!) der Oberflächengewässer in Niedersachsen erreichen nach Angaben des
jüngsten Nährstoffberichts des Landes die EU-Vorgaben [4]. Das ist
haarsträubend.
Und wie reagieren die
Verantwortlichen? Sie tun – nichts.
Denn das Urteil des EuGH
bezieht sich – wie praktisch – auf
Versäumnisse vor 2014. Darauf reden sich jetzt der Bauernverband, Landvolk, Agrarministerin
Julia Klöckner (CDU), ihre niedersächsische Amtskollegin Otte-Kienast (CDU) und
andere heraus. Sie verweisen darauf, dass ja seit vergangenem Jahr hierzulande
ein neues Düngerecht gilt, das alles besser mache. Man solle doch jetzt erst
mal abwarten, dass das neue Recht Wirkung zeige, heißt es.
Umweltschützern stinkt's: Überdüngung mit Gülle (Fotoquelle SPIEGEL.DE) |
Experten sind da allerdings gänzlich
anderer Meinung. Der Kieler Agrarwissenschaftler Friedhelm Taube sagte dem
SPIEGEL [5]: „In der Summe bringt das aber keine Veränderungen. Es gibt dort
fast überall weiche Formulierungen, die Auflagen werden nie konkret; selbst
eine dreifache Überschreitung der Grenzwerte lässt sich mit etwas Geschick
schönrechnen.“ Die schlimmste Sanktion, so Taube, sei, dass der Landwirt sich
beraten lassen müsste. Und dann habe er wieder seine Ruhe. „Ein stumpfes
Schwert“, so sein Fazit zur neuen Düngeverordnung.
Man beachte: Das neue
Düngerecht schreibt unter anderem größere Behälter vor, damit die Bauern „die
Gülle nicht nur aus Platzmangel“ [6] auf die Felder bringen. Agrarexperte
Tauber: „So haben viele Landwirte während der aktuell herrschenden Trockenheit
munter weitergedüngt, als könnten sie in diesem Jahr Höchsterträge erwarten.
Damit werden die Nitratüberschüsse im Grundwasser noch mehr steigen.“
So ist es nur eine Frage der
Zeit, bis es die nächste Klage der EU-Kommission gibt. Und das nächste
EuGH-Urteil.
Bis dahin sickert das Nitrat
weiter in den Boden und bedroht das Trinkwasser. Fließt weiter in die Meere und
führt dort zu Algenpest. Oder gelangt als Ammoniak oder Lachgas in die
Atmosphäre. „Lachgas ist ein extremes Klimagas“, sagt Agrarwissenschaftler
Taube, „300-fach wirksamer als Kohlendioxid.“ Allein in Deutschland entstünden durch diese Überdüngung pro Jahr Schäden in Höhe von fünf Milliarden Euro.
Nein. Wir können nicht mehr länger abwarten.
[1] https://www.tagesschau.de/inland/nitrat-eugh-103.html
[2]
https://www.bdew.de/presse/presseinformationen/deutschland-drohen-milliarden-strafzahlungen/
[3]
http://agrarwende.de/massentierhaltung.html
[4] https://www.ml.niedersachsen.de/themen/landwirtschaft/ue_pflanzen_und_duengemanagement/naehrstoffbericht/naehrstoffbericht-132269.html
[5] SPIEGEL, # 26/2018, S. 99
[6] Hannoversche Allgemeine
Zeitung, 22.6.18, S. 1
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