Samstag, 7. Oktober 2017

Vegetarier am Katzentisch

Niemand, der bei Verstand ist, kann heute noch ignorieren, dass es einen beträchtlichen Anteil an Gästen in der Gastronomie gibt, der sich vegetarisch ernähren möchte. Zwar ist das immer noch eine Minderheit, offenbar auch kleiner, als man gemeinhin denkt, aber, je nach Art der Gastronomie und Zielgruppe, ein wichtiger bis unverzichtbarer Faktor.

Warum werden dann gerade in der gehobenen Gastronomie Vegetarier so sträflich vernachlässigt? Wenn man sich Menükarten anschaut, sind es immer noch der Sous-Vide-gegarte Schweinebauch oder das geschmorte Kalbsbäckchen, das da punkten will. Überzeugende vegetarische Menüs sind die Ausnahme. Der Vegetarier (meist wohl eher die Vegetarierin) sitzt am Katzentisch. Und dann kommt ein junges, ziemlich ambitioniertes Restaurant in unserer kleinen Stadt auch noch ausgerechnet mit Hummer und Kaviar um die Ecke und nennt das auf Facebook „Klassiker“. Das ist nicht euer Ernst.

Liebe Köche und Gastronomen: Fragt ihr euch eigentlich gar nicht, wieso in den Szenevierteln eurer Stadt vegane Burger-Läden aufpoppen wie Pilze bei Regen und Ketten wie Dean & David den Durchmarsch machen mit ihrem ziemlich plumpen Fresh- und Green-Feeling? Aber die nehmen Vegetarier(innen) ernst! Ja, das hat mit Kochen natürlich nicht viel zu tun. Aber habt ihr mal im Bankenviertel von Frankfurt am Main zur Mittagszeit gesehen, wer wohin essen geht? Eben.

Und ihr kocht stoisch weiter eure Kalbsbäckchen. Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, ob es nicht oft die vegetarisch orientierten Frauen sind, die heute die Entscheidung darüber treffen, wo essen gegangen wird? Hey, wir haben 2017!

Das alles könnte auch damit zusammenhängen, dass Köche in ihrer Ausbildung zwar lernen, wie man ein halbes Schwein fachgerecht zerlegt und die Bestandteile zubereitet, aber meistens leider nicht, wie man aus vegetarischen Zutaten ein vollwertiges Essen kreiert. Außerdem ist es natürlich viel einfacher, eine fünf- bis siebengängige Menüfolge zu gestalten, wenn man Fleisch und Fisch benutzen darf. Beim vegetarischen Menü geht einem spätestens nach dem dritten Gang (Gemüse, dann Gemüse, und dann noch Gemüse…) die Luft aus. Ja, geht mir auch nicht anders. Aber genau das müsste doch die Herausforderung sein, oder irre ich mich? Die Nachfrage ist fraglos sehr groß.

Und nur nebenbei: Wenn ich als Vegetarier(in) aus einem Sieben-Gänge-Menü die beiden fleischigen oder fischigen Gänge weglasse, kann ich dann eigentlich sicher sein, dass ich wirklich vegetarisch esse? Sind die Gelees und andere entzückende Kleinteile auf dem Teller nicht oft mit Gelatine gebunden? Wird da in der Küche z. B. Agar-Agar verwendet, also ein vegetarisches Geliermittel? Das ist etwas schwieriger zu handhaben als Gelatine (auch bei Desserts), die ist schön einfach, aber leider eben nicht vegetarisch. Das mag man jetzt pingelig finden. Oder auch nicht.

Bei allem Respekt, ihr jungen, ambitionierten Köche: Tischt doch mal ein vollwertiges vegetarisches Menü auf, das wirklich beeindruckt, bezaubert und auf ganzer Linie überzeugt.


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