Sonntag, 8. April 2018

Alle auf Zucker


Die Briten haben eine Extra-Steuer auf zuckerhaltige Getränke eingeführt [1]. Und passend dazu nimmt sich Foodwatch den Zuckergetränkehersteller Coca-Cola zur Brust. Lange Zeit war Fett angeblich der Krankmacher Nummer eins. Sozusagen das neue Rauchen. Dann war Sitzen das neue Fett. Jetzt ist Zucker das neue Sitzen. Was ist da los?

Der SPIEGEL hat jetzt in seiner Titelgeschichte [2] das Thema einmal zusammengefasst. Die Fakten sind lecker. Kleine Auswahl:

  • Die Nahrungsmittelindustrie setzt drei von vier Produkten Zucker zu.
  • Dosensuppe und Fertigpizza enthält bis zu 5% zugesetzten Zucker.
  • Manches Kind verdrückt jedes Jahr einen Berg an Zucker, der mehr wiegt als es selbst.
  • Mit Zucker ist zumeist Haushaltszucker gemeint: Saccharose. Diese organisch-chemische Verbindung braucht der menschliche Körper nicht. Er kann z. B. Kartoffelstärke oder Getreide in Traubenzucker umwandeln, den das Gehirn als Energiequelle nutzt.
  • Studien zeigen: Nicht das lange verteufelte Fett begünstigt in erster Linie Übergewicht, Diabetes, Herzinfarkte und Nierenversagen – sondern Zucker. Das hat auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in ihren neuen Empfehlungen inzwischen berücksichtigt.
  • „Low-Fat-Produkte“ enthalten mehr Zucker als reguläre Vergleichsprodukte, deshalb können sie mehr schaden als nutzen.

Foodwatch prangerte dazu jüngst an, dass Coca-Cola gezielt „Influencer“ und „Youtuber“ für seine Produkte einspannt und vergleicht die Werbestrategie des Konzerns mit dem früheren Vorgehen der Tabak-Lobby:
„Ob mit Fußballstars im TV oder angesagten Influencern im Youtube-Video: Coca-Cola versteht es wie kaum ein anderer Konzern, ein positives Image zu kreieren – auch und gerade bei jungen Menschen. Dabei sind die Zuckergetränke von Coca-Cola flüssige Krankmacher. (…) Schon eine Dose am Tag fördert ernsthafte Krankheiten wie Diabetes. (…) Coca-Cola torpediert gezielt gesundheitspolitische Initiativen rund um den Globus und versucht mithilfe von Lobbyverbänden, die Gesundheitsgefahren von Zuckergetränken zu verschleiern – mit den gleichen Methoden wie früher die Tabakindustrie.“ [3]

Der Erfolg kann sich sehen lassen: Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung sind in Deutschland 59% der Männer und 37% der Frauen übergewichtig. [4]

Die „Wirtschaftliche Vereinigung Zucker“ in Bonn behauptet jedoch hartnäckig: „Zucker macht weder krank noch dick.“ [5] Das steht in krassem Widerspruch zu den Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und zahlreichen seriösen Studien. Das ist Lobbyarbeit, wie sie im Buche steht. Die NRA in den USA steht ja bekanntlich auch auf dem Standpunkt, dass Waffen keine Menschen töten. Schon klar. Man könnte auch einfach sagen: Das ist eine faustdicke Lüge. Aber gut: Auch in unserem Rechtssystem müssen zwar Zeugen vor Gericht die Wahrheit sagen, Angeklagte dagegen nicht. Beschuldigte dürfen lügen, dass sich die Balken biegen.

Das Problem dabei ist nicht, dass manche Produkte viel Zucker enthalten. Wer sich eine klassische Tafel Schokolade aufreißt oder das Brötchen fingerdick mit Erdbeerkonfitüre bestreicht, dürfte wissen, was er da zu sich nimmt. Das kann man sich ja gönnen, wenn man will. Unredlich wird es dann, wenn süße Dinge versuchen, gesünder zu erscheinen als sie sind („Milchschnitte“) oder der Zucker unsichtbar in Fertigprodukten schlummert.

Sehr erfrischend ist da die Äußerung eines PR-Experten, der – laut SPIEGEL – seinem Klienten riet: „Wenn Sie ein Zuckerprodukt herstellen, dann sagen Sie doch einfach ganz ehrlich, das ist ein wunderbarer Schokoriegel, der Sie glücklich macht – und tun Sie nicht so, als ob das Brokkoli ist!“

Besser als jeder Smoothie: Ballaststoffe, Vitamine und Zucker
in sinnvollem Verhältnis, praktisch verpackt. 

Ziemlich unschuldig sind Lebensmittelindustrie und Lobbyverbände allerdings an einem verbreiteten Missverständnis, das ebenfalls dazu führt, das Menschen viel zu viel Zucker zu sich nehmen: Scheinbar gesunde Fruchtsäfte und auch angesagte „Smoothies“ enthalten oft genauso viel oder sogar mehr Zucker als eine 0,5l-Flasche Coca Cola, weil der Fruchtzuckergehalt beim Auspressen im Verhältnis zur Gesamtmenge extrem steigt.

Besser: Einfach mal einen Apfel essen.



[1] https://www.tagesschau.de/ausland/zuckersteuer-grossbritannien-105.html
[2] DER SPIEGEL, Nr. 15/2018, S. 11 ff
[3] https://www.foodwatch.org/de/presse/pressemitteilungen/coca-cola-report-kritisiert-mitverantwortung-des-getraenke-konzerns-fuer-fettleibigkeit-und-diabetes-foodwatch-fordert-influencer-marketing-stoppen/
[4] https://www.dge.de/presse/pm/so-dick-war-deutschland-noch-nie/
 [5] https://www.tagesspiegel.de/advertorials/ots/wvz-wirtschaftliche-vereinigung-zucker-selbstbetrug-zuckerreduktion-kalorien-gehoeren-in-den-fokus-der-ernaehrungsdebatte/19802110.html
Man beachte beim Link die Unterverzeichnisse „advertorials“ und „ots“: Das ist nämlich kein journalistisch verfasster Artikel der Redaktion des Tagesspiegels, sondern eine redaktionell unbearbeitete Pressemitteilung des Lobby-Verbandes. Diese Pressemitteilung findet sich auch in anderen Portalen, die Pressemitteilungen verbreiten. Das Kürzel „ots“ im Link und als Kürzel zum Beginn der Meldung verweist auf den „Original Text Service“ („ots“) der Deutschen Presseagentur (dpa). Dazu muss man wissen, dass die dpa eine hochseriöse Nachrichtenagentur ist, die von ebenso seriösen Zeitungsverlagen in Deutschland gegründet wurde und getragen wird. Zugleich aber verdient die dpa auch Geld mit der Verbreitung von Pressemitteilungen über ihren ots-Service. Man könnte nun fragen, ob es der Glaubwürdigkeit zuträglich ist in Zeiten von Fake-News, dass seriöse Nachrichtenagenturen wie dpa ihren Gewinn aufbessern mit dem Vertrieb von Pressemitteilungen und eine Zeitung wie der „Tagesspiegel“ diese Pressemitteilungen unbearbeitet in ihrem Onlineangebot verbreitet. Aber das ist eine eigene Geschichte.


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