Die Briten haben eine
Extra-Steuer auf zuckerhaltige Getränke eingeführt [1]. Und passend dazu nimmt
sich Foodwatch den Zuckergetränkehersteller Coca-Cola zur Brust. Lange Zeit war
Fett angeblich der Krankmacher Nummer eins. Sozusagen das neue Rauchen. Dann
war Sitzen das neue Fett. Jetzt ist Zucker das neue Sitzen. Was ist da los?
Der SPIEGEL hat jetzt in seiner
Titelgeschichte [2] das Thema einmal zusammengefasst. Die Fakten sind lecker. Kleine Auswahl:
- Die
Nahrungsmittelindustrie setzt drei von vier Produkten Zucker zu.
- Dosensuppe
und Fertigpizza enthält bis zu 5% zugesetzten Zucker.
- Manches
Kind verdrückt jedes Jahr einen Berg an Zucker, der mehr wiegt als es
selbst.
- Mit
Zucker ist zumeist Haushaltszucker gemeint: Saccharose. Diese
organisch-chemische Verbindung braucht der menschliche Körper nicht. Er
kann z. B. Kartoffelstärke oder Getreide in Traubenzucker umwandeln, den
das Gehirn als Energiequelle nutzt.
- Studien
zeigen: Nicht das lange verteufelte Fett begünstigt in erster Linie
Übergewicht, Diabetes, Herzinfarkte und Nierenversagen – sondern Zucker.
Das hat auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in ihren neuen
Empfehlungen inzwischen berücksichtigt.
- „Low-Fat-Produkte“
enthalten mehr Zucker als reguläre Vergleichsprodukte, deshalb können sie
mehr schaden als nutzen.
Foodwatch prangerte dazu jüngst
an, dass Coca-Cola gezielt „Influencer“ und „Youtuber“ für seine Produkte einspannt
und vergleicht die Werbestrategie des Konzerns mit dem früheren Vorgehen der
Tabak-Lobby:
„Ob mit
Fußballstars im TV oder angesagten Influencern im Youtube-Video: Coca-Cola
versteht es wie kaum ein anderer Konzern, ein positives Image zu kreieren –
auch und gerade bei jungen Menschen. Dabei sind die Zuckergetränke von
Coca-Cola flüssige Krankmacher. (…) Schon eine Dose am Tag fördert ernsthafte
Krankheiten wie Diabetes. (…) Coca-Cola torpediert gezielt
gesundheitspolitische Initiativen rund um den Globus und versucht mithilfe von
Lobbyverbänden, die Gesundheitsgefahren von Zuckergetränken zu verschleiern –
mit den gleichen Methoden wie früher die Tabakindustrie.“ [3]
Der Erfolg kann sich sehen
lassen: Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung sind in Deutschland 59% der
Männer und 37% der Frauen übergewichtig. [4]
Die „Wirtschaftliche
Vereinigung Zucker“ in Bonn behauptet jedoch hartnäckig: „Zucker macht weder
krank noch dick.“ [5] Das steht in krassem Widerspruch zu den Erkenntnissen der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) und zahlreichen seriösen Studien. Das ist
Lobbyarbeit, wie sie im Buche steht. Die NRA in den USA steht ja bekanntlich auch
auf dem Standpunkt, dass Waffen keine Menschen töten. Schon klar. Man könnte
auch einfach sagen: Das ist eine faustdicke Lüge. Aber gut: Auch in unserem Rechtssystem
müssen zwar Zeugen vor Gericht die Wahrheit sagen, Angeklagte dagegen nicht.
Beschuldigte dürfen lügen, dass sich die Balken biegen.
Das Problem dabei ist nicht,
dass manche Produkte viel Zucker enthalten. Wer sich eine klassische Tafel
Schokolade aufreißt oder das Brötchen fingerdick mit Erdbeerkonfitüre bestreicht,
dürfte wissen, was er da zu sich nimmt. Das kann man sich ja gönnen, wenn man will.
Unredlich wird es dann, wenn süße Dinge versuchen, gesünder zu erscheinen als
sie sind („Milchschnitte“) oder der Zucker unsichtbar in Fertigprodukten schlummert.
Sehr erfrischend ist da die
Äußerung eines PR-Experten, der – laut SPIEGEL – seinem Klienten riet: „Wenn
Sie ein Zuckerprodukt herstellen, dann sagen Sie doch einfach ganz ehrlich, das
ist ein wunderbarer Schokoriegel, der Sie glücklich macht – und tun Sie nicht
so, als ob das Brokkoli ist!“
Besser als jeder Smoothie: Ballaststoffe, Vitamine und Zucker in sinnvollem Verhältnis, praktisch verpackt. |
Ziemlich unschuldig sind Lebensmittelindustrie und Lobbyverbände allerdings an einem verbreiteten Missverständnis, das ebenfalls dazu führt, das Menschen viel zu viel Zucker zu sich nehmen: Scheinbar gesunde Fruchtsäfte und auch angesagte „Smoothies“ enthalten oft genauso viel oder sogar mehr Zucker als eine 0,5l-Flasche Coca Cola, weil der Fruchtzuckergehalt beim Auspressen im Verhältnis zur Gesamtmenge extrem steigt.
Besser: Einfach mal einen Apfel
essen.
[1]
https://www.tagesschau.de/ausland/zuckersteuer-grossbritannien-105.html
[2] DER SPIEGEL, Nr. 15/2018,
S. 11 ff
[3] https://www.foodwatch.org/de/presse/pressemitteilungen/coca-cola-report-kritisiert-mitverantwortung-des-getraenke-konzerns-fuer-fettleibigkeit-und-diabetes-foodwatch-fordert-influencer-marketing-stoppen/
[4] https://www.dge.de/presse/pm/so-dick-war-deutschland-noch-nie/
[5] https://www.tagesspiegel.de/advertorials/ots/wvz-wirtschaftliche-vereinigung-zucker-selbstbetrug-zuckerreduktion-kalorien-gehoeren-in-den-fokus-der-ernaehrungsdebatte/19802110.html
Man beachte beim Link die
Unterverzeichnisse „advertorials“ und „ots“: Das ist nämlich kein
journalistisch verfasster Artikel der Redaktion des Tagesspiegels, sondern eine
redaktionell unbearbeitete Pressemitteilung des Lobby-Verbandes. Diese
Pressemitteilung findet sich auch in anderen Portalen, die Pressemitteilungen
verbreiten. Das Kürzel „ots“ im Link und als Kürzel zum Beginn der Meldung
verweist auf den „Original Text Service“ („ots“) der Deutschen Presseagentur
(dpa). Dazu muss man wissen, dass die dpa eine hochseriöse Nachrichtenagentur
ist, die von ebenso seriösen Zeitungsverlagen in Deutschland gegründet wurde
und getragen wird. Zugleich aber verdient die dpa auch Geld mit der Verbreitung
von Pressemitteilungen über ihren ots-Service. Man könnte nun fragen, ob es der
Glaubwürdigkeit zuträglich ist in Zeiten von Fake-News, dass seriöse
Nachrichtenagenturen wie dpa ihren Gewinn aufbessern mit dem Vertrieb von
Pressemitteilungen und eine Zeitung wie der „Tagesspiegel“ diese
Pressemitteilungen unbearbeitet in ihrem Onlineangebot verbreitet. Aber
das ist eine eigene Geschichte.
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